ANOMALIE

Ein Gespräch mit Marrok, dem kreativen Kopf von ANOMALIE, über die Anfänge, die Gegenwart und die Zukunft der Band …

ANOMALIE haben mit „Integra“ ein weiteres hochkarätiges Werk veröffentlicht und so lag es natürlich nahe, sich mit Marrok in Verbindung zu setzen, um ihm ein paar Fragen zu stellen.

Hi Marrok, kannst du bitte zu Beginn dieses Interviews etwas über ANOMALIE erzählen? Seit wann machst du unter diesem Namen Musik? In welchem Zusammenhang hast du den Bandnamen gewählt?

Grüß dich Anita! Die Anfänge des Projekts sind zeitlich sehr schwammig und es ist unmöglich zu datieren, mit welchem Tag alles begann. Ich hatte irgendwann einfach Material, welches nicht für meine damalige Band gedacht war und wollte einige dieser Songs für mich unter einem konkreten Projektnamen zusammenfassen. 2011 entschied ich mich somit dann aus dem Bauch heraus für den Namen ANOMALIE, jedoch war zu diesem Zeitpunkt noch lange kein Plan vorhanden, das damals völlig private Projekt jemals öffentlich zugänglich zu machen.

Erst als ich ungefähr zwei Jahre später endlich eine sinnvolle Möglichkeit geboten bekam, das Material ohne große finanzielle Investitionen aufzunehmen, nahm alles Schritt für Schritt die Gestalt an, die man am Debüt hören kann. Trotz allem war mein Fokus damals noch ganz woanders und erst mit den Aufnahmen zu „Refugium“ gewann ANOMALIE rasant an Priorität und spätestens seit „Visions“ ist die Band definitiv in der absoluten Vollwertigkeit angekommen!

Der Name an sich ist für das, was ich mittlerweile mache, definitiv ungewöhnlich und es gab auch die ernsthafte Überlegung, das Ding ab dem zweiten Album unter einem 'passenderen' Namen fortzusetzen. Ich habe mich jedoch dafür entschieden, meinem Weg einfach treu zu bleiben, denn auch wenn Welten zwischen „Between the Light“ und dem heutigen Material liegen, ANOMALIE war zu jedem Zeitpunkt zu hundert Prozent ich und die musikalische sowie die inhaltliche Progression veranschaulicht so gesehen sehr deutlich meine Entwicklung als Mensch und Künstler – eine Entwicklung, die den neueren Veröffentlichungen aus meiner Sicht menschlich noch mehr Bedeutung verleiht.

Siehst du ANOMALIE als Band, bei der auch andere Musiker ihren Part beitragen oder ist es für dich ein Soloprojekt, bei dem nur im Zuge der Liveauftritte weitere Mitglieder am Start sind? Nach welchen persönlichen Gesichtspunkten wählst du die Musiker aus? Hat die zwischenmenschliche Chemie mehr Einfluss als das Talent des entsprechenden Musikers am jeweiligen Instrument?

Wir haben mittlerweile seit 2015 ein dreistufiges Line-Up. Kreativ mache weiterhin ich alles alleine, jeder Song stammt in seiner gesamten Instrumentierung sowie in Sachen Text und Stimmen aus meiner Feder und ich kümmere mich auch um alles weitere wie Bühnenelemente oder die grundlegende ästhetische Auslegung der Band, denn da bin ich sehr penibel.

Im Studio kommen dann in der Regel Schlagzeuger Lukas und Bassist Thomas hinzu, die trotz sehr genauen Vorgaben meinerseits natürlich durch ihre technischen Fertigkeiten einen wichtigen Teil zum Feeling der fertigen Aufnahmen beitragen. Thomas konnte studiotechnisch leider nicht an der zuletzt erschienenen 'Integra' EP mitwirken, ich freue mich jedoch schon sehr darauf, ihn beim nächsten Album wieder an Board zu haben, denn solch einen unglaublich versierten und talentierten Bassisten kann ich schlicht und einfach nicht zur Gänze kompensieren!

Da ich sehr viel Wert auf intensive und vielseitige Vocals lege, habe ich mich entschlossen, mich auf der Bühne völlig auf den Gesang zu konzentrieren, weshalb wir live noch drei Gitarristen mit dabei haben. Die Wahl meiner Mitmusiker ergab sich bisher glücklicherweise auf sehr natürlichem Weg. Wir sind menschlich sehr unterschiedliche Charaktere, sind jedoch durch die gemeinsame Zeit bei ANOMALIE zu einer geschlossenen Einheit geworden. Aber natürlich würde ich mir selbst meinen besten Freund nicht auf die Bühne stellen, wenn er seine Leistung nicht bringt! Die Balance aus starkem persönlichen Draht und hoher musikalischer Qualität muss also in jedem Fall gegeben sein.

Die neue EP „Integra“ erschien am 09.11.18 via AOP Records. Warum hast du dich entschieden, „nur“ eine EP heraus zu bringen und kein full-length Album?

Ehrlich gesagt hab ich vor dieser EP in meiner gesamten Karriere noch nie eine Kurzveröffentlichung, Split oder ein Demo produziert, da ich eigentlich kein großer Fan von 'halben' Alben oder sogar noch kürzeren Releases bin. 'Integra' ist so gesehen ein gutes Beispiel dafür, dass man nie weiß, was als nächstes kommt, wenn man sich künstlerisch einfach treiben lässt und seiner Intuition folgt.

Sehr bald nach den Aufnahmen für 'Visions' hatte ich eine extrem kreative Phase, in der die Grundgerüste der vier EP Songs entstanden sind. Meine logische weitere Vorgehensweise wäre sicherlich gewesen noch zwei bis vier weitere Tracks zu schreiben, um daraus das nächste Album zu formen. Diesmal fühlten sich die Lieder jedoch klar und deutlich wie ein in sich geschlossener Kreislauf an und ich wollte daher unter keinen Umständen aus rein taktischen Gründen weiteres Material dran hängen. Ich bin hier auch meinem Label sehr dankbar für die bedingungslose und großartige Unterstützung in der ganzen Sache, da mir bewusst ist, dass sich eine EP definitiv schlechter vermarkten lässt als ein volles Album. Viele Leute in unserer Branche hätten zumindest versucht, mich dazu zu bewegen, eine LP zu komplettieren, um mehr Kapital daraus zu schlagen.

Wo siehst du persönlich den Unterschied zum „Visions“ Material?

Im direkten Vergleich ist der Großteil des 'Integra' Materials sicherlich geradliniger und rustikaler als die auf 'Visions' vertretenen Stücke, was in Kombination mit deutlich düsterer, teils dissonanter Harmonik eine bewusste Brücke zurück zu meinen musikalischen Wurzeln im traditionelleren Black Metal schlägt.

Wie kam es zu dem Deal mit AOP Records und welchen Vorteil hat es, bei einem kleineren Label unter Vertrag zu sein? Macht es auf lange Sicht jedoch eher Sinn, mit größeren Firmen zusammen zu arbeiten?

Sven von AOP Records hatte ein paar Monate bevor ich die ersten drei ANOMALIE Songs aufgenommen habe bereits HARAKIRI FOR THE SKY für das Debütalbum unter Vertrag genommen und sich im Zuge dessen sehr schnell als unglaublich fähiger Partner bewiesen. Als ich dann die ersten Aufnahmen ohne weiteren Hintergedanken auf Youtube geladen habe, fragte er mich, ob ich davon noch mehr habe und daraus ein Album machen möchte, denn er wäre sehr daran interessiert, meine Musik ebenfalls über sein Label zu verbreiten. Seither sind wir mit beiden Bands sowohl geschäftlich als auch privat sehr mit AOP Records verbunden und wachsen konstant in voller gegenseitiger Unterstützung weiter.

Sven gehört zu den inspirierendsten und hart arbeitendsten Menschen die ich meinem Leben bisher kennenlernen durfte. Leute wie er sind es, die beweisen, dass es kein ökonomisches Himmelfahrtskommando sein muss, sich ein erfolgreiches Geschäft basierend auf reiner Leidenschaft und blankem Idealismus aufzubauen. Der Weg ist hart, es ist ein ständiger Drahtseilakt zwischen Mut und Wahnsinn und jeder Fehler trifft dich ungebremst da, wo es am meisten weh tut. Doch wir brauchen genau diese Menschen, die es schaffen mit viel Herz, Einsatz und Verstand die Hürden des Wachstums zu meistern. 'Erfolg' und Progression sieht nach außen immer super einfach aus, birgt allerdings auch sehr viele Gefahren und Hindernisse, da man ständig vor neuen Herausforderungen steht, die man vorher noch nie bewältigen musste und in unserem Business gibt es kein Lehrbuch, wie man etwas richtig macht.

Natürlich gibt es für kleine Ein-Mann-Unternehmen irgendwann Grenzen in den Kapazitäten und sehr große Acts benötigen definitiv den konstanten Support eines mehrköpfigen Vollzeit-Teams. Wir sind jedoch bis auf weiteres unglaublich zufrieden bei AOP und es ist mir eine Ehre von Typen wie Sven in vielen Bereichen lernen zu können!

ANOMALIE wirken musikalisch, lyrisch und auch bei ihren Liveauftritten sehr „lebenserfahren“ und tiefgründig, wobei das Durchschnittsalter der auf der Bühne agierenden Personen ja eher jung ist. Siehst du das selbst auch so oder ist das nur mein persönlicher Eindruck?

Tiefgründig definitiv, 'lebenserfahren' ist sicherlich Ansichtssache. In Anbetracht dessen, dass hoffentlich noch wesentlich mehr vor uns liegt als wir bereits erlebt haben, bringe ich den Term ehrlich gesagt nicht direkt mit uns in Verbindung.

Ich möchte mit ANOMALIE auch niemanden belehren. Ich möchte keinem erzählen, wie man zu leben hat, wir bieten jedoch definitiv vielen Menschen einen alternativen Denkansatz für die Art und Weise, wie wir unsere Umgebung, unsere Gesellschaft, aber auch uns selbst wahr nehmen. Ich durfte in meinem noch jungen Leben bereits sehr viel lernen und es ist mir als Künstler auf jeden Fall ein Anliegen, die Möglichkeit zu bieten, an meiner Vision teilzuhaben.

In erster Linie ist ANOMALIE einfach zu jeder Zeit völlig authentisch und ehrlich. Dadurch ist Stillstand in musikalischer wie inhaltlicher Form ganz automatisch völlig ausgeschlossen, da ich alles daran setze, jeden Tag mit offenen Augen zu bestreiten, um stetig zu lernen und mich mental wie auch physisch konstant zu verbessern. Wie könnte ich also heute nochmal dieselbe Musik schreiben wie vor einem Jahr, als ich noch an einem völlig anderen Punkt in meiner Entwicklung stand?

Ich denke, dein Eindruck von 'Lebenserfahrung' auf der Bühne hat seinen Ursprung darin, dass wir alle immer voll hinter dem stehen, was wir in diesem Moment mit jeder Faser unseres Seins durchleben. Dieses bedingungslose Vertrauen in das eigene Schaffen ohne einen Gedanken an die Erwartungshaltung anderer unterstreicht wohl diese Wirkung unbewusst.

Eure Gigs sind ja auch visuell sehr schön umgesetzt, wenn ich da an die Bühnengestaltung denke. Ist das deshalb so, weil es euch bzw. dir so gefällt oder steckt eine bestimmte Aussage dahinter?

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Natürlich finden sich manche Elemente in erster Linie deshalb auf der Bühne wieder, um einen rein visuellen Zweck zu erfüllen. Andererseits kommt mir nichts auf die Bühne, zudem ich nicht in irgendeiner Weise einen speziellen Bezug habe. Der für mich mit Abstand wichtigste Teil unseres Bühnenbilds ist auf jeden Fall mein Mikrofonständer. Schon der Bau des Grundstativs war eine intensive Geschichte und jedes weitere Detail an diesem Birkenstamm hat unheimliche Bedeutung für mich und ist sehr sehr persönlich. Auf manche dieser Dinge möchte ich aus persönlichen Gründen nicht eingehen, andere möchte ich an dieser Stelle nicht spezifisch erwähnen, da die Hintergründe an den Grenzen der Legalität liegen und man nicht jedes Thema unbedacht in den Weiten des Internets behandeln sollte.

Du bist ja ein sehr vielbeschäftigter Mensch (ANOMALIE, HARAKIRI FOR THE SKY, QUANTHEON TOURING). Gibt es einen Bereich, dem dein besonderer Fokus gilt oder bist du bei allen Projekten mit hundert Prozent Herzblut dabei?

Alle Dinge und Projekte, die ich nicht zu hundert Prozent machen kann oder möchte, habe ich in den letzten Jahren abgeschlossen und hinter mir gelassen. Zeit ist zu wertvoll, um sie mit trivialen Nebensächlichkeiten zu verschwenden. Viele Leute sollten meiner Meinung nach aufhören zehn Sachen gleichzeitig und halbherzig zu machen ohne dabei klare Ziele vor Augen zu haben. Fällt dir nicht innerhalb einer halben Sekunde ein richtig richtig guter Grund ein, warum du tust, was du gerade tust, dann lass es sein und überdenke deine Prioritäten.

ANOMALIE waren Ende November / Anfang Dezember im Rahmen der „Rise Of The Cosmic Fire II“ Tour gemeinsam mit NAGLFAR und SCHAMMASCH in einigen Städten Europas unterwegs. Kannst du ein bisschen von den Konzerten berichten?

Um es auf den Punkt zu bringen: Für uns war diese Tour die beste, die wir bisher mit ANOMALIE erleben durften. Es war uns eine Ehre, die Bühne mit großartigen Künstlern zu teilen und zu meiner Freude übertraf das Publikum durch die Bank alle unsere Erwartungen.

Neben einigen Vorteilen, die es bietet, wenn man jeden Tag als erste Band spielt, war uns natürlich unsere Position bewusst und wie jeder weiß, muss man damit rechnen, dass auch mal eine Show dabei ist, wo das Publikum beim Opener noch nicht allzu zahlreich und / oder motiviert erscheint. Uns blieb dieses Schicksal jedoch tatsächlich erspart, wofür ich jedem einzelnen Besucher enorm dankbar bin. Es war sehr bewegend, Tag für Tag die Reaktionen der Gäste vor der Bühne zu beobachten und zu hören, dass manche Menschen unglaublich weit gefahren oder teils sogar geflogen sind, nur um uns zu sehen. Das ehrt uns natürlich sehr und motiviert enorm für unsere kommenden Konzerte dieses Jahr!

Als besonderes Highlight bleibt mir sicherlich auch das Abschlusskonzert in Wien in Erinnerung. Ich musste bei dieser Tour kurzfristig ungeplant auch den Bass übernehmen, da Thomas leider unverschuldet auslassen musste. Glücklicherweise haben wir uns auch zu fünft ordentlich geschlagen, es war für uns allerdings ein Stein im Magen, einen unserer Leute im Wissen, wie gerne er dabei gewesen wäre, zu Hause lassen zu müssen. Umso emotionaler war unsere Heimshow in Wien, wo wir endlich wieder in Vollbesetzung auf die Bühne gehen konnten! Gekrönt wurde der Abend durch unseren Freund C.S.R von SCHAMMASCH, der mit uns gemeinsam 'Deliverance' gesungen hat und somit für einen aus meiner Sicht sehr intensiven Schlusspunkt der Tour gesorgt hat!

Gibt es schon konkrete Pläne für das neue Jahr in Form von weiteren Livegigs, Festivalauftritten oder Arbeiten an einem Full-length Album?

Wir werden das ein oder andere Festival und einige Einzelshows spielen, unter anderem wurden bereits das In Flammen Open Air sowie das Baden in Blut Festival bestätigt. Parallel dazu arbeite ich gerade an der Umsetzung eines sehr aufwändigen Special-Sets, welcher spätestens 2020 zu ausgewählten Anlässen präsentiert werden wird. Der Hauptfokus in diesem Jahr liegt trotzdem weniger auf Live-Aktivitäten, da ich gerade mitten im Songwriting für das nächste Album bin – der Weg bis dahin ist jedoch noch ein weiter!

Vielen Dank für die Zeit, die du dir genommen hast, um meine Fragen zu beantworten!

Der Dank ist ganz meinerseits! Vielen Dank für das Interesse an unserem Schaffen!

Photocredits: Sunvemetal / LIV Photography & Art