Nachdem das aktuelle ATROCITY Album „Okkult II“, welches Anfang Juli veröffentlicht wurde, bei mir einen ziemlichen Begeisterungssturm ausgelöst hat, war es mir ein Volksfest der Band einige Fragen stellen zu dürfen.
ATROCITY dürften wohl den meisten unserer Leser ein Begriff sein, könnt ihr bitte trotzdem die für euch markantesten Meilensteine in der Bandgeschichte kurz auflisten?
Alex: 1985 haben wir ATROCITY ins Leben gerufen. Mittlerweile haben wir natürlich einige Alben veröffentlicht und in über fünfzig Ländern und fünf Kontinenten live gespielt. Unsere Ursprünge waren im Underground verwurzelt, damals wollte noch kein Mensch in unseren Landen derartig extreme Metal Musik hören. Death Metal und Grindcore waren völlig verpönt.
1989 kamen unsere erste Single „Blue Blood“ und 1990 unser Debüt „Hallucinations“ auf Nuclear Blast Records heraus, das als erstes Techno Death Metal Album gilt und welches wir als erste europäische Band im renommierten Morrisound Studio in Tampa/Florida mit Scott Burns (DEATH / SEPULTURA / OBITUARY) als Produzent aufgenommen haben.
Mit „Todessehnsucht“ (1992) und „Blut“ (1994) veröffentlichten wir Alben mit deutschen Titeln und Textanteilen, das hat damals für großes Aufsehen gesorgt. Leider wurden zu der Zeit deutsche Texte nicht immer nur positiv aufgenommen - vor allem im Ausland. Bei „Blut“ hatten wir auch meine Schwester Yasmin als Gastsängerin dabei und veröffentlichten im Anschluss daran das Mini Album „Calling The Rain“ mit Akustik Nummern. Es was war für eine Death Metal Band wahrscheinlich alles andere als gewöhnlich, mit weiblicher Gastsängerin und derartiger musikalischer Ausrichtung zu experimentieren. Sehr viele Fans fanden jedoch großen Gefallen daran!
Mitte der 90er Jahre gab es zusammen mit DAS ICH das erste Aufeinandertreffen von Metal und Gothic in Form des Albums „Die Liebe“. Der Urknall von Metal und Gothic und die gemeinsame Tour hat für sehr viel Furore gesorgt. Andere Kooperationen mit Gothic Acts wie LACRIMOSA oder SILKE BISCHOFF folgten. Es gab noch weitere wichtige Etappen und musikalische Projekte in unserer Laufbahn wie die großen und unverhofften Charterfolge der beiden „Werk 80“ Alben, auf denen wir aus den Pop & Wave Klassikern der 80er Jahre ATROCITY Versionen gezaubert haben. Unsere Roots im Death Metal haben wir dabei immer beibehalten und Band Klassiker wie „Willenskraft“ (1996) oder „Atlantis“ (2004) veröffentlicht.
Unser aktuelles Schaffen und musikalischer Fokus gilt der groß angelegten „Okkult“ Trilogie!
Am 06.07. kam euer neues Werk „Okkult II“ auf den Markt. Ich persönlich kann nur den Hut ziehen, die Songs haben mich so ziemlich vom ersten Moment an regelrecht umgehauen. Könnt ihr die einzelnen Nummern jeweils mit ein paar Worten beschreiben? Lyrisch befasst ihr euch auf „Okkult II“ mit Verschwörungstheorien, okkulter Magie und mysteriösen Orten. Sind das Themen, die euch generell interessieren oder habt ihr euch speziell im Rahmen der Okkult Reihe an diese Dinge heran getastet? Könnt ihr uns die Texte ein wenig detaillierter erläutern?
Tosso: Vielen Dank für die Blumen! Wir sind extrem glücklich mit dem neuen Album. Songs und Sound knallen voll rein!!!
Alex: Die Idee, ein derartiges Konzept umzusetzen liegt schon ein wenig zurück. Mit ATROCITY haben wir ja von jeher den Hang zu sehr düsteren Texten und Konzepten ausgelebt. Schon beim „Blut“ Album (1994) mit einem dunklem Vampirkonzept war es faszinierend, Recherchen in Transsylvanien, der Heimat meines Großvaters, anzustellen und tief in diese Thematik einzutauchen. Bei den sehr umfangreichen Arbeiten zum „Atlantis“ Konzept (2004) gab es eine unglaubliche Bandbreite von verschiedenen Quellen und Berührungspunkten zu diesem Thema. Das ging von wissenschaftlicher, archäologischer Arbeit, mythologischen Sichtweisen über esoterisch angehauchte Theorien, obskuren Auslegungen von Okkultisten im dritten Reich bis hin in die abgespacte Welt der Ufologie. Somit lag es quasi auf der Hand, dass das nächste Konzept eines über die Mysterien der Weltgeschichte und die dunkle Seite der Menschheit sein könnte. Und ein Album wäre dafür nicht ausreichend, deshalb gibt es die „Okkult“ Trilogie.“
Masters of Darkness:
Tosso: Der Opener brettert gleich kraftvoll und düster los. Heavy Drums und Gitarren, beschwörende Chöre und ein mitreißender Mittelpart kennzeichnen diesen Song.
Alex: Textlich umschreibt “Masters of Darkness” den Wahnsinn und den Okkultismus im dritten Reich. Menschenverachtende Ideologien, eine absurde Weltanschauung und Deutung der Weltgeschichte vereint als “Schwarzer Orden”, der “Religion des Blutes” und dem Schwur auf die “Blutfahne”.
Shadowtaker
Tosso: Unser Videosong! Hier geht es ohne Kompromisse gleich auf die zwölf! „Shadowtaker“ ist eine Abrißbirne und auch unser aktueller Videoclip, den wir fünfhundert Meter tief in einem uralten Bergwerk vierzig Meter unter der Erde gedreht haben. Gewaltig, düster und brachial.
Alex: Hier geht es um den Wiedergänger slawischer Prägung. Eine interessante Quelle ist von Karl Ferdinand von Schertz, der 1704 das Buch „Magia Posthuma“ verfasst hat, und von unerklärlichen Vorfällen von Wiedergängern, die Menschen angreifen, berichtet. Die Opfer sterben innerhalb weniger Tage. 1732 sorgt ein Bericht über Vampirismus des Stabsarztes Johann Flückinger am Wiener Hof für große Furore und befeuert das Interesse und den Glauben an die Existenz der Untoten. Eigentlich wurden derartige Untersuchungen über Vampirismus im Auftrag der habsburgischen Obrigkeit mit dem Ziel durchgeführt, dem ländlichen Aberglauben in den slawischen Gebieten den Gar auszumachen. 1755 ergeht sogar eigens dafür der sogenannte „Vampir Erlass“ mit diversen Verboten unter Androhung von Strafen. Unter anderem wurde das Öffnen der Gräber, das Pfählen, Köpfen und Verbrennen von Leichen, die man für Wiedergänger gehalten hat, verboten und unter Strafe gestellt.
Bloodshed and Triumph
Tosso: Ein superschneller, epischer und düsterer Kracher. Grandioses Drumming von unserem Schlagzeuger Joris. Zu diesem Song gibt es auch ein sehr geiles, böses Lyric Video.
Alex: Den keltischen Druiden bescheinigte man hohes Ansehen, Zauberkräfte und Autorität. Die Magier gehörten zur Elite der keltischen Stämme und ihre Wahrsagungen hatten großes Gewicht bei den Stammesfürsten. Dafür brachten sie angeblich Menschenopfer in ihren Ritualen dar, und konnten durch einen Dolchstoß und entsprechend den Todeszuckungen der Opfer die Zukunft deuten. Große Weidegeflechte symbolisierten ein Abbild der Götter (Wicker Man) und wurden mit lebenden Menschen gefüllt, die darin grausam geopfert und verbrannt wurden. Keltische Druiden sahen angeblich auch den Untergang Roms voraus.
Spell Of Blood
Tosso: Die Dampfwalze des Albums! Hypnotisierendes, düsteres Riff und geiler Mitgrowl-Chorus. Diesen Song haben wir vor ein paar Tagen bei unserer Release Show zum Album live runter geprügelt. Selbst die Ordner / Security direkt vor mir im Fotograben haben ordentlich mit dem Kopf gewackelt, haha. Diesem Song kann man sich nur schwer entziehen.
Alex: Textlich geht es dabei um Magie mit Hilfe eines Blutzaubers, der mit alten Hexenkulten in Verbindung gebracht wird. Es heißt, Blut verleiht einem Zauber besondere Kraft. Die Anwendung der Blutmagie gab es bei Azteken, Druiden und in vielen anderen verschiedenen Kulturkreisen der Menschheitsgeschichte. Der Song „Spell of Blood“ beschreibt einen Blutfluch, der mit Hilfe schwarzer Magie Verderben bringen soll.
Menschenschlachthaus
Tosso: Bei ATROCITY haben wir seit dem „Todessehnsucht“ Album (1992) deutsche Lyrics mit dabei. Passend zum Text, der das düstere und brutale Bild des 1. Weltkrieg krass widerspiegelt, klingt „Menschenschlachthaus“ gleich zu Beginn wie ein musikalisches Maschinengewehr-Gewitter, das bis zum Schluss des Songs anhält.
Alex: „Menschenschlachthaus“ umschreibt den realen Horror des ersten Weltkriegs auf Grundlage einer wahren Geschichte. Der deutsche Lehrer Wilhelm Lamszus hatte schon im Jahre 1912 detailliert über einen maschinellen Vernichtungskrieg berichtet. Ein dunkle Prophezeiung, die grausame Realität werden sollte. Zwei Jahre später musste er selbst als Soldat in den ersten Weltkrieg und wurde Zeuge seiner dunklen Visionen. Initiiert von den Mächtigen der Welt und ihrer Hetze wurden Hunderttausende im Schlamm der Schützengräben durch die moderne Kriegsmaschinerie dahingerafft.
Gates to Oblivion (feat. Marc Grewe)
Tosso: Ein sehr vielschichtiger Song mit düsterem Chorus, heftigen Double Bass- und Prügelattacken. Zusammen mit Marc Grewe als Gastsänger bekommt das eine ganz spezielle Note! Metal-Herz, was willst du mehr?
Alex: Bei „Gates to Oblivion“ geht es um das „Saeculum Obscurum“, das dunklen Jahrhundert des Vatikans, das „Hurenregiment“ sowie um die „Pornokratie“. Ein Sumpf aus Intrigen, Morden, Inzest, Ausschweifungen und Betrug. Die Mätressen übernahmen quasi die Macht im Vatikan. Marozia, Mätresse des Papstes Sergius III, stach dabei besonders hervor, sie sorgte durch Mord und Intrigen dafür, dass der Papststuhl an ihren Sohn Johannes XI und später auch an ihren Enkel Johannes XII überging.
Infernal Sabbath
Tosso: Der Song bietet eine tolle Mischung aus atmosphärisch-düsteren Parts, frostigen Gitarrenmelodien und totalem Geballer. Sehr geil!
Alex: Die Geschichten von der „Kathedrale des Teufels“, den Höhlen von Zugarramurdi im Baskenland, wo bis zum 17. Jahrhundert Hexenkult und Hexensabbate praktiziert worden sein sollen, hat mir Maite Itoiz (ELFENTHAL) als Inspirationsquelle für „Okkult II“ ans Herz gelegt. Ein magischer Ort, an dem Ortsansässige in der damaligen Zeit ausschweifende, heidnische Riten und Feste unter dem Vorsitz des Teufels höchstpersönlich abgehalten haben sollen. Die spanische Inquisition hat hier besonders hart und grausam zugeschlagen. Es wurden mehrere sogenannte Hexen zum Tode verurteilt, ein Teil der Frauen überlebte die peinliche Befragung nicht und stattdessen wurden Puppen symbolisch hingerichtet und verbrannt.
All Men Must Die
Tosso: Einer der ersten Songs, die wir für das „Okkult II“ Album geschrieben haben. Ein rauer Kracher mit sehr düsterem Chorus.
Alex: Zur Zeit des 30-jährigen Krieges gab es eine Reihe von Prophetinnen, die Weissagungen machten. Sie hatten zum Teil sehr düstere Visionen, die sie ihren Mitmenschen oft unter eigenen Qualen und wiederkehrenden Paroxysmen mitteilten. Eine dieser Besessenen war Anna Fleischer aus Freyberg, die angeblich in Trance und über dem Boden schwebend ihre Weissagungen machte.
Phantom Ghost:
Tosso: Der Song hat definitiv eine ganz eigene Ausstrahlung und erinnert mich von der Atmosphäre etwas an alte MERCYFUL FATE und KING DIAMOND Scheiben. Schaurig gut!
Alex: Ende des 19. Jahrhunderts und im Zuge der okkultistischen Bewegung der Moderne war die Blütezeit der Geisterbeschwörung. In einer sogenannten Séance, das waren Sitzungen, bei denen man die Seelen aus dem Jenseits beschwören wollte, kam man bei geheimen Treffen in verdunkelten Räumen zusammen, um diesem Schauspiel beizuwohnen. Ein Medium sollte die Verstorbenen im Jenseits erreichen. Levitationen und sich von allein bewegende Gegenstände, Stimmen aus dem Jenseits oder Erscheinungen galten als besondere Attraktionen. Viele Scharlatane mischten sich dabei unter das Volk und zum Teil wurden im Nachgang die Geschehnisse als Täuschungen und billige Tricks entlarvt. Allerdings sind bis heute nicht alle Sitzungen vollkommen erklärbar. Jeder, der vielleicht selbst übersinnliche Erfahrungen gemacht hat, die man nicht erklären kann, weiß, wovon ich spreche.
Devil's Covenant (feat. L.G. Petrov)
Tosso: Messerscharfe Metal Riffs mit treibenden Beats zeichnen diesen Song aus. Das geile Duett von Alex und LG begeistert und ist ein echtes Highlight auf dem Album. Die beiden Death Metal Ikonen lassen die Herzen der Old School Fans höher schlagen!
Alex: Gilles de Rais gilt als einer der unbarmherzigsten und brutalsten Massenmörder aller Zeiten. Einst war er ein gottesfürchtiger Adliger, großer Feldherr und Waffenbruder der Jungfrau von Orleans, Jeanne D'Arc. Nach ihrer Hinrichtung verprasste er sein Vermögen und driftete in eine sadistische, bizarre Welt des Schreckens ab. Er versuchte durch satanistische Rituale, Geisterbeschwörungen und Alchemie wieder zu Reichtum zu gelangen. Gleichzeitig führte er eine Abordnung von Kirchenmännern in seinem Gefolge mit sich. Er und seine Kumpanen ermordeten und folterten zahllose Kinder, die er von seinen Dienern aus den Dörfern seiner Untertanen entführen ließ. Auf bestialische Art und Weise und im Blutrausch wurde er zu einem reuelosen Monster und veranstaltete Schönheitswettbewerbe mit geschminkten, abgeschlagenen Kinderköpfen. Vor seiner Verurteilung zum Tode hielt er eine perfide Ansprache, in dem er Eltern dazu aufforderte, besser auf ihre Kinder aufzupassen.
The Golden Dawn
Tosso: Nach einem wagnerianisch anmutenden Intro, das auch gut zur „Todessehnsucht“ Scheibe passen würde, geht es in diesem Song voll auf die Glocke. Bestechend ist auch der von Chören und Gitarrensoli getragene Mittelteil dieser Nummer, welche die vorliegende Scheibe heftig und intensiv abschließt.
Alex: Hierbei geht es um den magischen Geheimbund „Hermetic Order of the Golden Dawn“. Die Grundlage des Ordens waren die Schriften und Lehren des Cipher Manuscripts und dessen Ritualskizzen. Die angebliche Quelle dafür war eine gewisse Anna Sprengel aus Nürnberg, Mitglied der Rosenkreuzer Bewegung. Ihre wahre Existenz ist aber eher unwahrscheinlich. Die Geheimgesellschaft des Golden Dawn wurde Ende des 19. Jahrhunderts in England gegründet und wurde durch prominente Mitglieder wie Aleister Crowley weltweit bekannt.
Wie kam es zu den Gastauftritten von L.G. Petrov (ENTOMBED A.D.) und Marc Grewe (ex-MORGOTH)? War das eine spontane Idee oder hattet ihr die beiden Herrschaften schon länger „im Visier“?
Alex: L.G. und Marc sind alte Weggefährten. Wir kennen uns aus den goldenen Tagen des Death Metal Undergrounds Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Damals waren wir mit MORGOTH, AUTOPSY und PESTILENCE auf Tour..
L.G. und ENTOMBED habe ich 1990 erstmals nach Deutschland auf die „Support the Underground“ Festivals mit CARCASS, ATROCITY, PUNGENT STENCH, etc. geholt. Das waren eine der ersten Death Metal Festivals auf internationaler Ebene und ich habe sie selbst veranstaltet. Sie fanden in Deutschland, Frankreich und Belgien statt. L.G. und die ENTOMBED Jungs waren uns sehr dankbar dafür.
Marc und L.G. waren auch beide auf unserer ATROCITY Film Doku „Die gottlosen Jahre“ mit dabei. Als wir sie nun gefragt haben, ob sie als Gastsänger bei „Okkult II“ dabei sein möchten, waren beide sofort mit voller Begeisterung dabei. Die Kooperationen sind absolut geil geworden!
Alex hat „Okkult II“ im Mastersound Studio selbst produziert. Hat man denn als Songwriter und Musiker das beste Ohr für den richtigen Sound der eigenen Scheibe oder kann es im schlimmsten Fall auch passieren, dass man sich eventuell „betriebsblind“ in eine Richtung verrennt, die ein außenstehender Produzent vielleicht nicht eingeschlagen hätte?
Tosso: Das passt perfekt! Es freut mich wie herrlich der Gitarrensound und generell die Produktion geworden ist. Auch die Vocals sind meiner Meinung nach sehr kraftvoll und abwechslungsreich gelungen. Da hat Alex wieder mal ein einen Mega-Job als Produzent und Frontmann gemacht. Ich könnte mir keinen besseren Mann für diesen Job vorstellen! Ein ganz großer Vorteil ist auch, dass wir bei uns im Mastersound Studio alle Freiheiten besitzen.
Werdet Ihr „Okkult II“ in absehbarer Zeit im Rahmen einer Tour live präsentieren? Welche Art von Shows bevorzugt ihr an sich? Sind es die kleineren Club-Gigs oder doch die Auftritte auf den großen Festivalbühnen, die euch mehr begeistern?
Tosso: Beides hat seinen Reiz. Bei großen Festivals trifft man viele Freunde und andere Bands. Das Publikum fühlt sich für mich von der Bühne aus dann oft wie eine gewaltige Landschaft an. Clubshows sind dagegen sehr direkt, intensiv und man spürt die anwesenden Besucher noch mehr. Bei einer Clubshow lassen sich die Fans auch gezielt auf einen Abend mit einer bestimmten Band ein, es ist quasi wie bei einem Date.
Ihr seid in den letzten Jahren sehr viel unterwegs gewesen. Macht das nach all den Jahren noch genauso Spaß wie in den Anfangstagen oder nützt sich das Tourleben nach einiger Zeit merklich ab? Ich könnte mir vorstellen, dass ich mittlerweile doch schon ein dezentes Problem mit Schlafentzug und vermehrtem Partymodus hätte …
Tosso: Wir sind ja in der glücklichen Position, dass wir weltweit Konzerte spielen, also in Europa, Asien, Nord- und Südamerika und an vielen anderen Orten. Wir waren letztes Jahr zum Beispiel das erste Mal in Weißrussland und haben vor kurzem ein Angebot aus Dubai bekommen. Mittlerweile müssten es so ca. sechzig Länder sein, die wir konzertmäßig bereits bereist haben. Von daher bleibt das immer extrem spannend! Aber es stimmt schon, bei einer langen Konzertreise muss man sich die Kräfte schon gut einteilen und halbwegs gesund leben, was wir auch tun. Wenn die exzessiven Parties nur manchmal und nicht immer stattfinden, bleiben sie auch etwas Besonderes und später in guter Erinnerung.
Ihr habt schon etliche Veröffentlichungen auf den Markt gebracht, die zum Teil auch immer wieder für Überraschungen gut waren. Kam das aus dem Bauch bzw. aus der jeweiligen Grundstimmung heraus oder habt ihr quasi vorsätzlich Alben geschrieben, die sich komplett von dem unterschieden haben, was ihr davor gemacht habt. Konntet ihr mit den entsprechenden Reaktionen immer gut umgehen oder gab es schon Momente, wo ihr euch in eurem künstlerischen Schaffen unverstanden gefühlt habt?
Alex: Alles, was wir musikalisch angehen kommt aus vollem Herzen und aus Leidenschaft! Wir mögen musikalische Herausforderungen und geben uns mit Halbgarem nicht zufrieden. Die Philosophie der Band ist wahrscheinlich nicht für alle ganz nachvollziehbar, aber eigentlich ist das gar nicht so schwer. ATROCITY haben schon von Beginn an musikalische Grenzen überschritten. Für eine Metal Band ist das natürlich alles andere als normal. Es muss auch nicht jeder Fan ausnahmslos alles von uns gut finden, obwohl es tatsächlich sehr viele Anhänger gibt, die uns genau wegen unserer Vielseitigkeit lieben. Für mich ist Heavy Metal auch kein erzkonservatives Genre, wie es wohl gerne ein paar Leute haben möchten. Von Regeln und Vorschriften innerhalb der Szene halte ich übrigens überhaupt nix, das braucht kein Mensch – Breaking the law!
Tosso: Wir waren schon immer eine Band, die versucht hat musikalische Extreme auszuloten. Auf „Hallucinations“ und „Todessehnsucht“ war für Anfang der 90er Jahre unglaublich technischer Death Metal zu hören, der viele andere Bands und Musiker inspiriert hat. Mitte und Ende der 90er haben wir Grenzen zwischen Metal und Gothic, Elektro und Ethno deutlich kleiner gemacht und sogar eingerissen. Im Grunde sind wir einfach Musikliebhaber, wir folgen unserer Freude und Neugier auf Musik und Neues.
Was hat sich eigentlich generell für euch als Musiker geändert über die Jahre, in denen ihr mit ATROCITY aktiv seid? Welchen Einfluss hat die digitale Vernetzung auf die Band? Ist das für euch eher ein Fluch oder ein Segen? Man kann zwar heute schnell viele Menschen mit seiner Musik erreichen, aber man kann auch sehr leicht genau in dieser anonymen digitalen Flut untergehen.
Tosso: Satanisches Backward Masking funktioniert bei Vinyl immer noch am Besten! Von daher sollte Vinyl immer die erste Wahl für jeden Metal Fan sein, haha. Spaß beiseite, die digitale Entwicklung bedeutet einen riesigen Einschnitt. Im Zeitalter von Streaming und digitalen Musik-Plattformen ist es für viele Künstler deutlich schwieriger geworden, zu überleben. Oft haben Bands kein ausreichendes Budget mehr, um in einem Studio gute Aufnahmen zu machen. Wir verfügen glücklicherweise über ein eigenes Studio und gönnen uns den Luxus, Zeit und viel Energie in unsere Alben zu stecken. Ich denke, das sind wir den Fans auch schuldig. Es ist niemandem gedient, wenn wir mittelprächtige Alben mit einer schäbiger Produktion herausbringen würden. Dem allgemeinen Trend „Musik ist kostenlos, immer verfügbar und quasi wertlos“ haben wir bei jedem Album der OKKULT Trilogie jeweils einen Song „geopfert“ und an einem geheimen Ort versteckt. Fans, die diesen Song, den wir selbst auch nicht mehr besitzen, hören wollen, müssen sich notgedrungen oder auch begeistert gemäß den Anleitungen und Hinweisen auf dem jeweiligen OKKULT Album auf den Weg machen, um ihn zu finden. Eine geniale Idee von Alex und unser Statement, welches aussagen soll, dass Musik auch in der heutigen Zeit sehr wohl noch einen Wert besitzt.
Ihr seid nun wieder bei Massacre Records unter Vertrag. Wie kam es zu dieser erneuten Zusammenarbeit? Ist hier eine längerfristige Zusammenarbeit geplant oder betrifft diese vorerst nur „Okkult II“?
Alex: Massacre Records haben uns damals viele Ideen ermöglicht, zum Beispiel „Werk 80“. Ich habe ja Mitte der 90er Jahre selbst bei Massacre Records und zusammen mit Thomas als meinem Kollegen gearbeitet. Als Soulfood Music Massacre Records kürzlich übernommen haben, war mit Jochen Richert und seinem Soulfood Team die Sache quasi perfekt! Ich kenne Jochen seit meiner Jugend und er war schon während meiner Zeit bei Massacre Records ein erfolgreicher Vertriebspartner. Und ja, es handelt sich hier um eine langfristige Zusammenarbeit.
Tosso: Es fühlt sich sehr gut und richtig an, wieder bei Massacre zu sein und mit Thomas Hertler und dem Massacre Team zu arbeiten. Wir kennen uns seit vielen Jahren und haben von der „Blut“ Platte bis zur „Werk 80“ Scheibe dort unter Vertrag gestanden. In gewissem Sinne schließt sich so der Kreis für uns und Massacre Records. Alte Liebe rostet nicht! Der grandiose Charteinstieg auf Platz 37 in den deutschen Album-Charts ist da ja auch ein sehr vielversprechendes Startsignal für alle Beteiligten.
Welche Musik hört ihr denn privat? Hat das einen direkten Einfluss auf eurer Songwriting oder könnt ihr auch da gut abgrenzen? Welche Strömungen in der heutigen Metalszene seht ihr denn als bedeutsam an? Es gibt ja mittlerweile so viele Subgenres und Post-Dieses-und-Jenes-Ecken, das kann durchaus schon mal für Verwirrung sorgen.
Alex: Für uns sind unsere beiden Bands ATROCITY und LEAVES' EYES Dreh- und Angelpunkt in unserem Musikerleben. Entweder sind wir auf Tour oder im Studio, Metal ist unser Lifestyle! Wir haben mit unseren Bands schon eine enorme Spannbreite innerhalb des Metal Genres abgedeckt. So ist das auch im privaten Bereich. Für mich ist dabei entscheidend, ob ich Musik etwas abgewinnen kann. Da ist es nicht wichtig, welche Kategorie oder spezielle Bezeichnung das ist. Unsere Wurzeln sind in den 80er und 90er Jahren, und gerade mit ATROCITY haben wir etliche Genregrenzen in unserer Bandgeschichte durchbrochen.
Dadurch, dass wir auch verschiedene andere Künstler bei uns im Mastersound Studio produzieren, kommen wir mit den unterschiedlichsten Stilen in Berührung. Das macht Spaß. Für mich sind Trends, die kommen und gehen, nicht entscheidend, ein echter Klassiker ist zeitlos. Und tatsächlich sind die vielen Untergruppierungen mittlerweile unüberschaubar geworden, haha. Für unser Songwriting schöpfen wir aus jahrelanger eigener Erfahrung und dem, was wir als Künstler an neuen Herausforderungen umsetzen wollen. Im Falle der „Okkult“-Trilogie ist das die Urgewalt brutalen Metals kombiniert mit dunkler Atmosphäre und einem krassen lyrischem Konzept.
Welche Pläne habt ihr mit ATROCITY für die kommenden Jahre? Gibt es ein Projekt, welches ihr unbedingt verwirklichen wollt? Etwas, was ihr bislang noch nicht gemacht habt?
Tosso: Zum Album Release am 6. Juli hatten wir eine Release Show auf dem SUNSTORM Festival, das war ein geiler Auftakt für unsere Liveshows! Wir haben dazu bereits einige internationale Anfragen. Zum ersten „Okkult“ Album waren wir ja auch weltweit unterwegs, zum Beispiel in Nordamerika, Südamerika, Asien und natürlich auch in Europa. Vor allem in Südostasien gibt es derzeit viel Interesse an ATROCITY. Extremer Metal ist ein weltweites Phänomen geworden. Wir freuen uns schon darauf, auf Tour zu gehen! Zuerst sind wir aber mit LEAVES' EYES im Herbst zusammen mit KAMELOT in Europa unterwegs. 2019 / 2020 geht’s dann mit beiden Bands mit Vollgas rund um den Globus weiter!
Alex: Natürlich gibt es noch Dinge die wir anpacken wollen und musikalisch werden wir garantiert nicht untätig sein! Wir werden uns zwischen den Touren das ein oder andere Mal im Mastersound Studio verbarrikadieren!
Gibt es zum Abschluss dieses Interviews noch etwas, was ihr euren österreichischen Fans mitteilen wollt?
Alex: Danke für das Interview! Wir möchten uns gerne für die jahrelange Unterstützung bei den Fans bedanken!! Wir freuen uns über die sehr positive Resonanz zum „Okkult II“ Album und wir hoffen, dass wir bald wieder einmal in Österreich spielen werden!
Photo Credits: Massacre Records / Stefan Heilemann