Überall diese Wut, Verzweiflung. Leben ohne Zukunft und Hoffnung. Es verroht was verrohen kann und soweit das Auge reicht hat die „politische Elite“ längst jeglichen Sinn für continence verloren. Wobei elitär wohl nur noch die Gehälter scheinen, in Ausdruck und Form liegt man längst weit unter jener Gürtellinie, die sich kaum mehr als Kritik an der von vielen verhassten political correctnes verstanden werden kann. Tiefer geht’s immer.
Bevor ich euch mit Lobhudeleien über MANSONs neuestes musikalisches Meisterwerk „Heaven Upside Down“ langweile, zerbreche ich mir mal lieber den Kopf darüber, warum es nicht verwundert, dass der als Brian Warner geborene gerade jetzt versucht, sein Image als Schockrocker gegenwartstauglich zu machen. Ist es, weil es sonst keiner tut? Also aufschreien? Der Welt wieder mal vorführen, wie grotesk Rhetorik und Auftreten mächtiger Staatsführer anmuten?
Kann er das überhaupt noch? Hat die Welt nicht bereits jeglichen Sinn fürs „skandalöse“ verloren, wenn es einen Social-Media-Shitstorms nach dem anderen hagelt und hierzulande sogar der Werbebeirat aufgerufen wird, wenn eine im Grunde historisch unbedeutende Möbelkette schmutzigste Politiker auf die Schaufel nimmt?
Die Realität hat MANSON längst eingeholt. Adrian Daub schreibt in seinem Zeit-Kommentar zurecht davon, dass gewaltverherrlichende doch fiktionale You-Tube Videos längst potentiallos geworden sind angesichts der schockierenden Bilder enthaupteter IS-Opfer, realen Attentate und Menschen, die anstatt erste Hilfe zu leisten, den Tod lieber live und ungeschnitten mit dem Handy filmen.
Doch muss Kunst/Musik überhaupt immer schockieren? Ist es nicht einfach nur unser Anspruch als Konsument, dass Musik entweder leise im Hintergrund rauscht oder uns ganz im Sinne des englischen in-yer-face-theatre der 90er Jahre mal ordentlich eins in die sogenannte „Fresse“ haut? Wollen wir als aufgeklärte Audiophile nicht manchmal auch so richtig in den Arsch getreten werden? Von Musikern wie MANSON?
Wir hocken doch alle lieber auf unseren Yoga-Matten, machen es uns bequem mit Quinoa-Avocado Salat und saugen unsere giftgrünen Spinatwachtel-Smoothies durch Bambushalme, um unseren biologischen Fußabdruck nicht zu sehr zu beeinflussen. Politisches Engagement, #Aufschrei und Empörung sind längst Kampfbegriffe, die wie Klassenkampf, Revolution und Umsturz nur noch bei google zu finden sind, nicht aber mehr in den Köpfen der westlichen Digital-Zombies.
Und was macht MANSON? Er besinnt sich nach seinem 2015 veröffentlichten, meiner Meinung nach grenzgenialem Album „The Pale Emperor“ (Vertigo) wieder seines früheren Schockrocker Images und will es nochmal wissen. Doch gelingt ihm der Sprung ins Jahr 1996 oder sind es nicht mehr als Reminiszenzen, die hier als kraftlose, leere Hüllen durch den Äther gewirbelt werden?
Aber mal ehrlich. Letztlich stellt sich immer die Frage, ob der Künstler (in unserem Fall MANSON) nicht ganz persönliche Motive für die Rückbesinnung auf seine frühen Werke hat.
Was treibt ihn an, sein zehntes Album in der Form zu schreiben?
MANSON sagt in einem Interview mit Dazed, er wusste beim Schreiben von Heaven Upside Down noch nicht, dass sein Vater die Fertigstellung des Albums nicht mehr erleben wird.
"It didn´t really affect the way the record came out, but it did affect the whole ending oft he story. [...] maybe it was my dad´s way of saying ´Ok , you´re done son, get this record out,´not for rock and roll purposes, not because I want to make a great record. All the things are included in the package, but I´m here to fuck shit up. That´s my job. I´m a tornado and you can sit back and watch it.“
„Heaven Upside Down“ ist mal auf jeden Fall ein grundsolides, ehrliches, sauber produziertes Album. No more, no less. Möglicherweise verbirgt sich hinter dieser Fassade aus Perfektion auch der Versuch, nochmal etwas ganz großes zu schaffen, anzuknüpfen an eine Zeit, in der Musiker es noch vollbracht haben, mediale Aufmerksamkeit zu generieren und gesellschaftlichen Einfluss haben.
Aber so sehr ich diese Mischung aus Goth-Rock, Industrial und Metal-Einflüssen mit allem möglichen anderen Schubladenzeugs mag, so sehr vermittelt es mir auch den Eindruck, dass Musik wirklich nur mehr Musik ist. „Was hat uns bloß so ruiniert“ hämmert es durch meinen Kopf...
Die rohe Kraft der Tracks ist nicht nur auf das erneute Mitwirken von Bassist Twiggy Ramirez zurückzuführen. Die Funken sind da, es brodelt und glimmt, zischt und pufft noch immer unter der Oberfläche. Doch irgendwie ist die Welt keine magische mehr, der Mystizismus eines vormaligen Idols lässt sich nicht mit Zeilen wie „You say God and I say Satan“ wiederherstellen.
Und doch, es gibt sie, die Perlen, die Glanzstücke, die dieses Album zu einem absoluten Must-Have machen. Das treibende „Tattooed In Reverse“, welches in seiner hypnotischen Schlichtheit rhytmisch erotische Bewegungsphantasmen fördert und durchaus zum Hüftschwung-Tanzflächenknüller avancieren könnte.
Oder der groteske Lovesong „Kill4Me“, der, hätte Tarantino jemals die Geschichte von John McCluskey und Casslyn Welch auf die Celluloid gebannt, als bizarrer Soundtrack die absolute Hörigkeit zwischen den beiden Killern audiophil widerspiegelt.
MANSONS Musik war immer schon ein wenig der Blick hinter oft gut verschlossene Türen des amerikansichen Kleinbürgertums, seine Art zu sagen, hey, schaut euch die Mal an... schaut genau hin...!
Und diesen Blick fürs Verborgene hat er immer noch. Ich möchte nicht nach der großen Botschaft hinter den Songs suchen, die es vermutlich gar nicht gibt. Mir reicht, dass ich in seinen Texten auch meine Ängste und Befürchtungen, aber auch meine Reflexion mit der Gesellschaft und unserer Welt wiederfinden kann. Wenn ich genau hinhöre. Und da sind mir platte Sätze wie das vorhin erwähnte „You say God and I say Satan“ auch egal, weil letztlich doch immer auch ein wenig mehr dahinter steckt, als man aufs erste Hören erkennen mag.
“I’m just here for chaos,” sagt MANSON im genannten Interview. “I’m not here to save anybody. I’m here to tell people ‘Listen, enjoy it while you can, because it ain’t going to last forever.’”
Denn letztlich wissen wir doch noch gar nicht, welche Welt uns erwartet, wohin wir gehen werden, welches die unsere Zukunft ist.
Aber wir wissen, dass Zornpinkel wie MARILYN MANSON da sein werden, um uns mit ihrer eigenen Art und Weise daran zu erinnern, dass Ängste immer auch da sind, um überwunden zu werden.
In diesem Sinne sei das Album „Heaven Upside Down“ allen hörfreudigen Menschen da draußen wärmstens empfohlen und ans Herz gelegt.
Erwähnt sei auch das mittlerweile ausverkaufte MANSON Konzert am 20.11. im Wiener Gasometer.
Und um schon jetzt ein wenig vorweihnachtliche Stimmung aufkommen zu lassen, sei noch darauf hingewiesen, dass wir 5 Exemplare verlosen. Also fleißig einsenden... – an christian(at)musikatlas.at – der schwarze Glücksengel wartet.
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Photo Credit: PEROU