TOOL Fear Inoculum

Sony

Relax, turn around and take my hand…

Ist es jetzt tatsächlich passiert? Es ist kaum zu glauben, oder? Viele dachten, der Tag würde niemals kommen. Und jetzt, wo es soweit ist, kann man es nicht realisieren.

Die vier Jungs von TOOL sind ein Haufen Arbeit. Nicht nur untereinander, sondern natürlich auch für ihre besessene, emotionale und oft verzweifelnde Fanbase. 4.868 Tage, das sind umgerechnet 13 Jahre und 4 Monate, brauchte es für die Veröffentlichung neuer Musik von Maynard, Adam, Danny und Justin. Langzeit-Aficionados der amerikanischen Art-Rock Band waren die typischen 5-Jahres-Intervalle zwischen TOOL-Longplayern gewohnt (schlimm genug, oder?), spätestens seit dem Jahr 2011 begann das Stirnrunzeln über den Nachfolger auf das 2006 veröffentlichte Meisterwerk „10,000 Days“. In der Zwischenzeit gab es viele Ausreden, etliche Wermutstropfen, kryptische Botschaften, kleine Hoffnungsschimmer, die aber schon bald wieder verblassten, kurze Tourneen ausschließlich in den USA und eine Menge Nebenprojekte. Insbesondere Frontman Maynard James Keenan erleichterte die Wartezeit mit seinem One-Man-Projekt PUSCIFER (und veröffentlichte in den 13 Jahren in etwa so viel Material wie TOOL in ihrer ganzen Karriere) und seiner Zweitband A PERFECT CIRCLE. Dass sich der Großteil der Tool-Army irgendwann verarscht vorkam, versteht sich von selbst, half aber auch nichts. Die Herren brauchen einfach ihre Zeit und gehen keine Kompromisse ein. It’s ready when it’s ready – accept it!

Nun steht „Fear Inoculum“ auf einmal in den wenigen übergebliebenen CD-Regalen dieser Welt (und – große Premiere – auch in so gut wie allen digitalen Streaming-Plattformen). Und nach dieser gefühlten Unendlichkeit und wegen derartig hochgeschraubten Erwartungen der Fans, müsste man meinen, das kann ja nur ein Reinfall werden! Jeder erwartet ein neues „Lateralus“, nur besser – mit schnelleren Gitarren, komplexeren Rhythmen, intensiveren Vocals, psychedelischerem Artwork: Die absolute und endgültige Offenbarung, die jeden Zuhörer in ein anderes Universum transportiert – wo alles eins ist und eins alles ist. Was kein Auge gesehen und kein Ohr zuvor gehört hat, die Erklärung vom Sinn des Lebens. Ein Ayahuasca-Trip ist lächerlich dagegen. So viel zu der Erwartungshaltung…

Und siehe da – Reinfall keineswegs! Im Gegenteil, „Fear Inoculum“ wird seit Stunde Null bei Fans und Kritikern gefeiert. Nachdem man die sieben Tracks – jeder Song länger als zehn Minuten – erstmals injiziert hat, herrscht jedenfalls Skepsis. War das jetzt wirklich so großartig, wie ich es mir erhofft habe? Kann es mit den Klassikern mithalten? War dieser eine Teil nicht irgendwie… langweilig?

Geduld ist eine Tugend, weiß jeder Freund der Band. Das wahre Genie von TOOL wird sich mit der Zeit offenbaren, man muss es sich als Zuhörer erst einmal verdienen. Der Titeltrack und Opener „Fear Inoculum“ prophezeit mit seiner schamanistischen und Jam-Band-Atmosphäre eine unerwartete Reise mit vielen Überraschungen. Track 2 „Pneuma“ entlarvt sich als düster-ominöser Prog-Rock, der schon bald zu den Fan Favorites zählen wird. „Invincible“ und „Descending“, zwei Nummern, die bereits auf der Europa-Tour vorgestellt wurden, sind epische Kunstwerke mit mehreren Sätzen. „Culling Voices“ ist der wohl unauffälligste Track des Albums, belohnt aber aufmerksames Verinnerlichen. Das 15-minütige Epos „7empest“, mit seinen explosiven Gitarrenriffs und aggressiven Vocals, beendet die Reise mit einem Höhepunkt. Übrigens heißt William Shakespeare’s letztes Theaterstück „The Tempest“, wollen uns TOOL irgendetwas damit sagen?

Die Ruhe und Unaufdringlichkeit von „Fear Inoculum“ täuscht zu Beginn, wenn nicht sogar enttäuscht. Mit der Zeit wird man aber verstehen, dass die Musik mit der Zeit gehen muss. Zurück zu den lärmigen Tagen von „Undertow“ oder „Aenima“ wäre keine Option gewesen. TOOL haben uns wieder einmal mit einem ganz besonderen, einzigartigen und authentischen Werk beschert, das ihre Fans für die kommenden 13 Jahre und 4 Monate unter die Lupe nehmen, sezieren, interpretieren und groß feiern werden.

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